Mehrarbeit - Begriff
Der Begriff der Mehrarbeit taucht arbeitsrechtlich in unterschiedlichem Zusammenhang auf (vgl. § 21 Abs. 2 JarbSchG, § 8 Abs. 1 MuSchG, § 124 SGB IX sowie § 15 AZO a. F.) und wird auch in Tarifverträgen (§ 3 Abs. 5 BRTV, § 4 MTV Groß- und Außenhandel NRW) häufig genannt.
Zwischen Überstunden und Mehrarbeit besteht grundsätzlich begrifflich kein Unterschied, im Allgemeinen wird dieser Begriff ebenso wie der Begriff der Überstunden auf die Überschreitung der regelmäßigen betrieblichen oder tariflichen Arbeitszeit angewandt.
Im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (§ 7 TVÖD) werden Überstunden und Mehrarbeit allerdings unterschiedlich definiert([1]).
Eine einheitliche Begrifflichkeit gibt es daher nicht. Vielmehr richtet sich die gleiche oder unterschiedliche Bedeutung nach den jeweiligen Definitionen in Arbeitsvertrag und Tarifvertrag.
Anspruch auf Vergütung von Mehrarbeit
Der Anspruch auf Überstundenvergütung oder Mehrarbeitsvergütung richtet sich nach den Vereinbarungen in Arbeitsvertrag und Tarifvertrag.
Er setzt im Regelfall neben der tatsächlichen Überstundenleistung voraus, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurden oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren.
"Der Anspruch auf Überstundenvergütung setzt des Weiteren voraus, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurden oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren (BAG vom 25.05.2005 – 5 AZR 319/04 – AP Nr. 17 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gebäudereinigung)."
LArbG Berlin-Brandenburg vom 19.03.2010 Aktenzeichen 9 Sa 2161/08, 9 Sa 2266/08, 9 Sa 2316/08, 9 Sa 2161/08, 9 Sa 2266/08, 9 Sa 2316/08
Überstundenvergütung beim Arbeitsgericht
sehr unterschiedliche Anforderungen
Im Gerichtsverfahren vor dem Arbeitsgericht gilt folgendes:
Zunächst muss der Arbeitnehmer vortragen, dass er und wann er wieviele Überstunden gemacht hat. Hier sind Arbeitszeitkonten zur Erleichterung des Vortrags hilfreich; der Arbeitgeber muss diese vorlegen, wenn der Arbeitnehmer in seinem Beweisantritt auf die Vorlage durch den Arbeitgeber hinweist. Das reine "Leisten" von Mehrarbeit reicht aber nicht aus, um eine Vergütungspflicht auszulösen. Anders als z.B. bei Bandarbeit, bei der auf der Hand liegt, dass der anwesende Mitarbeiter auch tatsächlich "geschafft" hat, ist bei Angestellten nicht zwingend, dass die Arbeitszeit auch mit Arbeiten für den Arbeitgeber verbracht wird. Die Gerichte verlangen daher viel von einem Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber die Notwendigkeit der nachgewiesenen Mehrarbeit bestreitet.
Hat der Arbeitgeber die Erforderlichkeit der Überstundenleistung bestritten und behauptet, die Arbeiten hätten innerhalb der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitszeit erledigt werden können, dann muss der Arbeitnehmer dazu näher vortragen. Er darf sich nicht auf die pauschale Behauptung, die Überstunden seien sachdienlich gewesen, beschränken. Vielmehr muss er für die einzelnen Überstunden Umstände vortragen, aus denen auf ihre Sachdienlichkeit geschlossen werden kann. Der Hinweis auf die Befassung mit bestimmten Projekten reicht nicht aus, denn aus ihr allein folgt nicht zwangsläufig, dass die angefallene Arbeit nur unter Überschreitung der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit erledigt werden konnte (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 14.11.2007 -Aktenzeichen: 6 Sa 492/06).
Herausgabe von Arbeitszeitaufzeichnungen durch den Arbeitgeber
Ein verbreiteter Irrtum unter Arbeitnehmern besagt, daß der Arbeitgeber die Arbeitszeitaufzeichnungen herausgeben oder vorlegen müsse. Dies ist gesetzlich aber nur in § 21a Abs. 7 ArbZG für Tachoscheiben von Kraftfahrern geregelt.
Mehrarbeit und Ausschlussfrist
Mehrarbeit im Gehalt enthalten
Häufig wird angenommen, Mehrarbeit sei im Gehalt enthalten; Überstunden müssten nicht immer extra vergütet werden.
So liest man in einem Urteil des Arbeitsgericht Halberstadt:
„Darüber hinaus existiert kein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte oder betriebsübliche Arbeitszeit zu vergüten ist. Gemäß § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung nur dann als stillschweigend vereinbart, wenn die Umstände der Dienstleistungen im Einzelfall für eine Erwartung zusätzlicher Vergütung sprechen (vgl. Erfurter-Preiss, a. a. O., Rn. 611; BAG Urt. v. 03.09.1997 – 5 AZR 428/96, AP BGB § 611 Dienstreise Nr. 1, Rn. 16).“
ArbG Halberstadt vom 19.09.2007 Aktenzeichen: 2 Ca 1023/06, JURIS
Verbreitet ist auch die Ansicht, Mehrarbeitsvergütung könne durch eine Pauschalierung mit dem Gehalt abgegolten werden:
„Ein Anspruch des Klägers auf Bezahlung von Überstunden ist auch durch § 10 Abs. 3 des Arbeitsvertrages ausgeschlossen. Denn darin haben die Parteien einvernehmlich festgelegt, dass mit der Vergütung gerade auch Ansprüche aus Mehrarbeit (Überstunden, Nachtarbeit, Samstags- Sonn- und Feiertagsarbeit) abgegolten sind.
a) Derartige Pauschalierungsabreden sind in Arbeitsverträgen nicht nur weiterhin üblich (vgl. Laws AuA 2006, 52) sondern nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch nicht zu beanstanden, solange sich hinsichtlich des Anfalls derartiger Leistungen und der gewährten Vergütung kein auffallendes Missverhältnis ergibt (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 1 AZO; BAG AP Nr. 11 zu § 611 BGB "Dienstordnungsangestellte"; LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2003, 243). Handelte es sich bei dem Arbeitnehmer um einen leitenden Angestellten, waren Überstunden durch die Vergütung bereits ohne ausdrückliche Regelung abgegolten (vgl. Seel DB 2005, 1330; Gaul/Bonanni ArbRB 2002, 307).
b) Daran hat sich durch das Inkrafttreten des Schulrechtsmodernisierungsgesetztes nichts geändert. Insbesondere unter Berücksichtigung von § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB sowie § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB kann eine derartige Regelung weder als überraschend gem. § 305 c Abs. 1 BGB (vgl. LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 2005, 351) noch nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam sein (vgl. BAG vom 31.08.2005 – AP Nr. 8 zu § 6 ArbZG; Kleinebrink ArbRB 2006, 21 m.w.N.). Die Bezahlung etwaiger Überstunden ist damit bereits durch die dem Kläger geleistete Vergütung abgegolten.“
Landesarbeitsgericht München 01.08.2007 Aktenzeichen: 10 Sa 93/07, JURIS
Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht zu der Klausel: „Über-, Mehr-, Sonn- und Feiertagsstunden sind durch das gezahlte Bruttogehalt abgegolten.“ entschieden, dass jedenfalls die über acht Stunden/Werktag hinausgehende Mehrarbeit trotzdem zu vergüten ist und als Maßstab hierfür den auf den entsprechenden Zeitanteil entfallenden Gehaltsanteil genommen:
b) Jedenfalls hinsichtlich der allein zur Entscheidung stehenden Arbeitsstunden jenseits der gesetzlichen Höchstarbeitszeit fehlt es an einer - auch stillschweigenden - Vergütungsabrede. Die Parteien haben zwar vereinbart, dass über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden hinausgehende Arbeitsstunden (“Überstunden”) durch das vorgesehene Monatsgehalt von 2.100,00 Euro abgegolten sein sollen. Das Landesarbeitsgericht hat aber angenommen, hiervon würden nur die gesetzlich zulässigen Überstunden erfasst; die Abgeltungsvereinbarung betreffe nicht die über das zulässige Maß des § 3 ArbZG hinausgehende Arbeit. Gegen diese Vertragsauslegung, die nahe liegt und keine Rechtsfehler enthält, wendet sich die Revision nicht. Der Senat hat sie der weiteren Rechtsprüfung zugrunde zu legen. Danach bedarf es keiner Entscheidung, ob die Abgeltungsvereinbarung rechtswirksam ist.
c) Die streitgegenständliche Mehrarbeit war nach den Umständen nur gegen eine Vergütung zu erwarten. Die Beklagte musste davon ausgehen, dass der Kläger die Arbeit nur gegen eine Vergütung leisten werde. Zwar hätte sie die auf Grund des Beschäftigungsverbots des § 3 ArbZG unzulässige Arbeitsleistung weder anordnen noch entgegennehmen dürfen. Gleichwohl hat der Kläger Anspruch auf Bezahlung der geleisteten Arbeit. Der Sinn des Beschäftigungsverbots besteht nur darin, die Arbeitsleistung zu verhindern, um eine Überforderung des Arbeitnehmers zu vermeiden. Eine vereinbarte Vergütung bleibt maßgebend; § 612 BGB ist bei Fehlen einer Vergütungsabrede anwendbar (vgl. BAG 14. Dezember 1967 - 5 AZR 74/67 - AP AZO § 1 Nr. 2, zu 4 der Gründe) . Das Landesarbeitsgericht hat unter Anwendung von § 138 ZPO festgestellt, der Kläger habe die Überstunden auf Anordnung seines Vorgesetzten geleistet (vgl. BAG 17. April 2002 - 5 AZR 644/00 - AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 40 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 148, zu II 3 der Gründe) . Auch hiergegen hat die Beklagte keinen Revisionsangriff erhoben (§ 559 Abs. 2 ZPO).
2. Die Höhe der Vergütung für Überstunden des Klägers war nicht bestimmt (§ 612 Abs. 2 BGB). Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend eine übliche Vergütung von 12,07 Euro/Stunde angesetzt. Es hat angenommen, die Vereinbarung einer Monatsvergütung bei gleichzeitiger Festlegung der regelmäßigen Arbeitszeit rechtfertige den Schluss, dass sich die Monatsvergütung grundsätzlich auf die vereinbarte Arbeitszeit beziehe und Überstunden anteilig zu vergüten seien (vgl. Küttner/Reinecke Personalbuch 2005 Überstunden Rn. 11) . Dagegen wendet sich die Revision nicht. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist selbst dann nicht zu beanstanden, falls nach § 3 des Arbeitsvertrags Überstunden bis zur Grenze des § 3 ArbZG durch das Monatsgehalt wirksam abgegolten wurden. Auch dann bliebe die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit für den Wert der Arbeitsleistung maßgebend; denn diese soll die Regel bilden und nicht eine fiktive maximale Arbeitszeit oder eine unbestimmte tatsächliche Arbeitsmenge.
BAG vom 28.09.2005 Aktenzeichen: 5 AZR 52/05, JURIS.
In der Vorinstanz ist das Landesarbeitsgericht Hamm noch deutlicher geworden:
„b) Zudem dürfte selbst eine Vergütungsvereinbarung, wonach die im gesetzlichen Rahmen anfallenden Überstunden durch die Grundvergütung mit ausgeglichen sein sollen, gemäß § 307 BGB unwirksam sein, da sie Bestandteil eines Formulararbeitsvertrages ist und entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen den Kläger benachteiligt. Sie ermöglicht der Beklagten bei gleichbleibender Vergütung, vom Kläger über die vereinbarte Regelarbeitszeit hinaus in erheblichem Umfang Mehrarbeit zu verlangen. Eine unangemessene Benachteiligung wird man nur verneinen können, soweit eine zumindest durchschnittlich nur geringfügige Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit mit dem vereinbarten Gehalt abgegolten ist (vgl. Erf. Komm./Preis, §§ 305 – 310, Rdnr. 89 und Hümmerich, NZA 2003, 753, 756 ff.). Letztlich kann dies hier jedoch dahingestellt bleiben, da der Kläger nur eine Überstundenvergütung begehrt für die Stunden, die die gemäß § 3 Abs 1 Satz 1 AZO zulässige Arbeitszeit überschreiten.“
Landesarbeitsgericht Hamm vom 11.2004 Aktenzeichen: 19 Sa 1424/04, JURIS
In einer neuen Entscheidung aus 2007 hat das Landesarbeitsgericht Hamm seine Ansicht bestätigt, dass eine Regelung, nach der ein Entgelt für Mehrarbeit nicht geschuldet sein soll, den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt und eine pauschale Abgeltungsklausel für unwirksam erklärt (Landesarbeitsgericht Hamm vom 11.07.2007 Aktenzeichen: 6 Sa 410/07, JURIS).
Die Argumente des LAG Hamm sind einleuchtend, denn die entsprechenden Klauseln führen nicht nur zu ungerechter Behandlung verschiedener Angestellter, sondern auch zu einer ungewissen Verschiebung des „Preis-Leistungs-Verhältnisses“. Zwar weiss der den Arbeitsvertrag unterzeichnende Angestellte, dass er nach Ansicht seines Arbeitgebers keine Vergütung für Mehrarbeit zu erwarten, unklar bleibt aber, in welchem Umfang. Die Regelung ist daher unklar, da der Beschäftigte auch die Erwartungen des Arbeitgebers nicht kennen kann. Außerdem ist der Grund für die Klauselkontrolle, dass bei Vertragsschluss keine gleichrangige Verhandlungsposition besteht. Die Rechtsprechung ist daher auch dafür zuständig, nicht mehr zu rechtfertigenden Begehrlichkeiten Grenzen zu ziehen.
Bundesarbeitsgericht zur Mehrarbeitspauschale
Interviews
Bild.de vom 29.01.2012: Immer mehr Arbeit Jeder Zweite hat eine 50-Stunden-Woche! Ein Beitrag von Von GUIDO ROSEMANN mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser [2]
WDR 2 Quintessenz vom 17.01.2012: Weder Geld noch Feierabend : Wann Überstunden nicht bezahlt werden. Ein Beitrag von Clemens Hoffmann. Rechtsanwalt Michael W. Felser beantwortet Hörerfragen live im Studio mit Gudrun Höpker. Podcast mit Auszügen online [3]
Bild.de vom 28.9.2010: 10 Prozent arbeiten regelmässig länger Kann mich mein Chef zu Überstunden zwingen? Ein Beitrag mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser [4]
Mens Health vom 15.06.2009: Arbeitszeit - Bestimmt der Chef den Feierabend? Rechtsanwalt Felser beantwortet Leserfrage. [5]
Geldidee Heft 12/2008: All you can work. Überstunden sind gängige Praxis in vielen Unternehmen. Wann Mitarbeiter Ausgleich fordern dürfen. Mit Interview Rechtsanwalt Michael W. Felser. Leider nicht mehr online.
Der Tagesspiegel vom 17.08.2008: Karriere - Was der Chef darf. Überstunden. Die dritte Nachtschicht in Folge, der Urlaub kurzfristig gestrichen und wer in Jeans kommt, darf gleich wieder gehen. Der Boss bestimmt. Doch hat er eigentlich auch das Recht dazu? [6]
Staufenbiel Ratgeber: Arbeitsvertrag - Das sollten Sie beachten: Überstunden bergen Streit-Potenzial. Mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser und Empfehlung von Arbeitsvertrag.de[7]
Weblinks
(1) Arbeitsvertrag.de [8]: Das große Portal zum Thema "Arbeitsvertrag" von Juracity - Recht für Alle!
(2) xxxxxxx.de [9]: Aktuelles rund um das Thema "Einstellung" und "Bewerbung" von Juracity - Recht für Alle!
(3) xxxxxx.de [10]: Webseite des Autors zum Thema "Fragerecht" des Arbeitgebers bei der Bewerbung
(4) xxxxxxxxxxxx [11]: xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Autor
Michael W. Felser ist der auf das Thema "Mehrarbeit und Überstunden" spezialisierte Rechtsanwalt in der Kanzlei Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte Köln/Brühl [12] und Betreiber des Portals "Juracity - Recht für Alle!" mit der Themendomain "xxxxxxx.de". Er hat zahlreiche Arbeitnehmer und Führungskräfte sachkundig bei Mehrarbeit beraten und der Durchsetzung berechtigter Überstundenvergütung vertreten. Betriebsräte berät er als Sachverständiger bei Betriebsvereinbarungen zum Thema "Arbeitszeit". Referenzen auf Anfrage.