Der zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 09.11.2006 – 2 AZR 812/05, Pressemitteilung) hat – unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung – das Risiko der Unternehmen bei Fehlern in der Sozialauswahl begrenzt. Galt bisher nach der „Dominotheorie“, dass ein Fehler bei der Sozialauswahl von allen Arbeitnehmern gerügt werden konnte (also auch von denen, die bei richtiger Sozialauswahl trotzdem gekündigt worden wären), muss nach der heutigen Entscheidung der beklagte Arbeitgeber nur zukünftig darlegen, dass der klagende Arbeitnehmer auch bei richtiger Sozialauswahl gekündigt worden wäre.

Das höchste deutsche Arbeitsgericht:

„Kündigt der Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen nicht allen Arbeitnehmern, sondern nur einem Teil der Belegschaft, so muss er eine Auswahl treffen. Bei der Auswahl unter vergleichbaren Arbeitnehmern muss er nach dem Gesetz soziale Gesichtspunkte, nämlich Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung ausreichend berücksichtigen (§ 1 Abs. 3 KSchG). Dabei kann der Arbeitgeber zur Objektivierung und besseren Durchschaubarkeit seiner Auswahlentscheidung die sozialen Gesichtspunkte mit einem Punktesystem bewerten, sodann anhand der von den einzelnen Arbeitnehmern jeweils erreichten Punktzahlen eine Rangfolge der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer erstellen und die zu kündigenden Arbeitnehmer nach dieser Rangfolge bestimmen. Entfallen zB 50 von 500 Arbeitsplätzen, so sind bei Anwendung eines solchen Punktesystems grundsätzlich die 50 Arbeitnehmer mit den geringsten Punktzahlen zu kündigen. Unterläuft bei der Ermittlung der Punktzahlen ein Fehler mit der Folge, dass auch nur einem Arbeitnehmer, der bei richtiger Ermittlung der Punktzahlen zur Kündigung angestanden hätte, nicht gekündigt wird, so wurden nach der bisherigen Rechtsprechung die Kündigungen aller gekündigten Arbeitnehmer als unwirksam angesehen. Dies galt, obwohl bei fehlerfreier Erstellung der Rangfolge nur ein Arbeitnehmer von der Kündigungsliste zu nehmen gewesen wäre (sog. Domino-Theorie). Diese Rechtsprechung hat der Senat mit sechs Entscheidungen vom heutigen Tage aufgegeben. Kann der Arbeitgeber in Fällen der vorliegenden Art im Kündigungsschutzprozess aufzeigen, dass der gekündigte Arbeitnehmer auch bei richtiger Erstellung der Rangliste anhand des Punktesystems zur Kündigung angestanden hätte, so ist die Kündigung – entgegen der bisherigen Rechtsprechung – nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam. In diesen Fällen ist der Fehler für die Auswahl des gekündigten Arbeitnehmers nicht ursächlich geworden und die Sozialauswahl jedenfalls im Ergebnis ausreichend.“

Da das Landesarbeitsgericht die Entscheidung noch auf der Grundlage der alten Rechtsprechung getroffen hatte und deshalb der Frage, ob die klagenden Arbeitnehmer bei richtiger Sozialauswahl nicht gekündigt worden wären, nicht aufgeklärt hatte, verwies das Bundesarbeitsgericht die Sache zur weiteren Ermittlung an die zweite Instanz zurück.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte Felser

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