Das Bundesarbeitsgericht hatte endlich Gelegenheit, einen alten Zopf abzuschneiden, nämlich: die beliebte Überstundenpauschale.
Unter einer Überstundenpauschale versteht man eine Regelung im Arbeitsvertrag, die regelt, dass mit dem Gehalt Mehrarbeit / Überstunden abgegolten sind (Pauschalabgeltung).
„In Deutschland wurden 2009 rund eine Milliarde bezahlter Überstunden geleistet“, sagt Eugen Spitznagel, Leiter der Forschungsgruppe Arbeitszeit und Arbeitsmarkt beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. In etwa der gleichen Größenordnung dürfte es unbezahlte Überstunden geben, schätzt der Experte.“ so T-Online Business.
Einige Arbeitsrechtler vom alten Schlag waren auch nach der Jahrtausendwende noch der Meinung, dies sei in Ordnung und teilten dies auch gerne in den Medien mit.
Das Bundesarbeitsgericht hatte im September 2010 (das Urteil wurde gerade erst im Volltext veröffentlicht) endlich eine Klage zu entscheiden, um diese offensichtlich überholte Rechtauffassung zur Überstundenpauschale richtigzustellen.
Der Mann erhielt 3000 Euro brutto für 45 Stunden die Woche, davon 38 Normalarbeitsstunden und 7 Mehrarbeitsstunden. Darüber hinaus enthielt der Vertrag die Klausel:
„Mit der vorstehenden Vergütung sind erforderliche Überstunden des Arbeitnehmers mit abgegolten.“
Wer das unterschreibt (und was bleibt den meisten Bewerbern schon übrig), der weiß nicht, was er für die 3000 Euro brutto wirklich leisten muß. Das Verhältnis von Leistung (Gehalt) und Gegenleistung (Arbeit) ist unklar. Welcher Stundensatz im Verhältnis zur vorherigen Beschäftigung beim neuen Arbeitgeber bezahlt wird, wird verschleiert. Sicher nicht aus Menschenliebe oder Korrektheit.
Das ist etwas so, als wenn der Metzger ein Angebot macht: „100 bis 200 gr. Aufschnitt heute nur 0,59 Euro.“ Oder beim Mieter: „Wohnung, 40 bis 50 qm, Miete 500 Euro warm.“ Oder Autohändler: VW Passat Kombi 90 bis 120 PS, Baujahr 2002, 70.000 km. VB 4000 Euro.
Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 01.09.2010 Aktenzeichen 5 AZR 517/09) hat nunmehr deutlich gemacht, dass es so nicht geht:
„ b) Die in § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags geregelte Pauschalabgeltung von Überstunden ist mangels hinreichender Transparenz unwirksam.“*
Und wer sich für die Details der Begründung interessiert:
„aa) Wird davon ausgegangen, dass eine Regelung wie die streitbefangene die Hauptleistungspflichten der Parteien betrifft (zum Meinungsstand vgl. ErfK/Preis 10. Aufl. §§ 305 – 310 BGB Rn. 91 f.; HWK/Gotthardt 4. Aufl. Anh. §§ 305 – 310 BGB Rn. 39), unterliegt sie gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB gleichwohl der Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach kann sich die zur Unwirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung führende unangemessene Benachteiligung daraus ergeben, dass die Bedingung nicht klar und verständlich ist. Dieses Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Danach müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird (vgl. BAG 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 – Rn. 14, BAGE 124, 259; 31. August 2005 – 5 AZR 545/04 – Rn. 45, BAGE 115, 372). Eine Klausel muss im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders so klar und präzise wie möglich umschreiben. Sie verletzt das Bestimmtheitsgebot, wenn sie vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält.
bb) Eine die pauschale Vergütung von Mehrarbeit regelnde Klausel ist nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen von ihr erfasst werden sollen (vgl. ErfK/Preis §§ 305 – 310 BGB Rn. 91; HWK/Gotthardt Anh. §§ 305 – 310 BGB Rn. 39; Hromadka/Schmitt-Rolfes NJW 2007, 1777, 1780; Bauer/Chwalisz ZfA 2007, 339, 354). Andernfalls ließe sich nicht erkennen, ab wann ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung besteht. Der Umfang der Leistungspflicht muss so bestimmt oder zumindest durch die konkrete Begrenzung der Anordnungsbefugnis hinsichtlich des Umfangs der zu leistenden Überstunden so bestimmbar sein, dass der Arbeitnehmer bereits bei Vertragsschluss erkennen kann, was ggf. „auf ihn zukommt“ und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss (vgl. BAG 5. August 2009 – 10 AZR 483/08 – Rn. 14, AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 85 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 10; 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 – Rn. 28, AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6). Aufgrund einer unklar abgefassten Pauschalierungsklausel besteht die Gefahr, dass der Arbeitnehmer in der Annahme, er habe keinen Rechtsanspruch auf eine gesonderte Überstundenvergütung, seinen Anspruch nicht geltend macht.
cc) § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags ist nicht klar und verständlich. Diese Klausel soll alle Arbeitsstunden erfassen, die die vereinbarten 45 Wochenstunden überschreiten. Deren Umfang ist im Arbeitsvertrag nicht bestimmt. Insbesondere lässt sich weder der Klausel selbst noch den arbeitsvertraglichen Bestimmungen im Übrigen eine Begrenzung auf die nach § 3 ArbZG zulässige Höchstarbeitszeit (vgl. zu dieser Auslegungsmöglichkeit BAG 28. September 2005 – 5 AZR 52/05 – BAGE 116, 66) entnehmen. Aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 („erforderliche Überstunden“) ergibt sich eine solche Beschränkung jedenfalls nicht. Nach § 2 letzter Absatz des Arbeitsvertrags sind Überstunden zu leisten, sofern diese zur Erfüllung der geschuldeten Leistung gemäß der anliegenden Tätigkeitsbeschreibung erforderlich sind. Das Vertragswerk bietet vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass es zu Überschreitungen der gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeiten kommen könnte. Die dem Arbeitsvertrag zugrunde liegenden Schichtpläne gehen von durchschnittlich 45 Wochenarbeitsstunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche aus. Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit sollte sich danach auf neun Stunden belaufen. Samstagsarbeit war nach Bedarf zu leisten. Die Tätigkeitsbeschreibung verpflichtete den Kläger, seine Mitarbeiter im Rahmen der Sicherstellung der technischen Verfügbarkeit sämtlicher Anlagen im 24-Stunden-Betrieb auch außerhalb seiner Arbeitszeiten telefonisch, nötigenfalls auch durch seine persönliche Anwesenheit bei der Störungsbeseitigung zu unterstützen. Danach lag die Überschreitung der öffentlich-rechtlich geregelten Arbeitszeit nicht fern. Hinzu kommt das unklare Verhältnis der in Abs. 3 des § 3 getroffenen Regelung zu der in Abs. 2.“
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.09.2010 Aktenzeichen 5 AZR 517/09
Einen Haken hat die Sache dennoch: Die auf den ersten Blick hilfreiche Rechtsprechung, die längst überfällig war, täuscht über die Realisierbarkeit der Bezahlung von geleisteten Überstunden. Denn immer noch akzeptiert das Bundesarbeitsgericht sogenannte Verfallklauseln, die im laufenden Arbeitsverhältnis legitime Ansprüche des Arbeitnehmers vor Ablauf der 3-jährigen Verjährungsfrist zu Fall bringen. Das bedeutet, dass man als Arbeitnehmer alle drei Monate die Überstunden „schriftliche geltend machen“ und nach Ablehnung nach weiteren drei Monaten gerichtlich einklagen muß. Eine sehr erfolgsversprechende Aktion in einem laufenden Arbeitsverhältnis. Dabei wissen die Arbeitsgerichte ganz genau, dass Überstunden so gut wie nie während des laufenden Arbeitsverhältnisses eingeklagt werden.
Die Verfallfrist ist ein Unikum des Arbeitsrechts, denn wo bitte gibt es das schon, dass durch einen Vertrag gesetzliche Verjährungsfristen abgekürzt werden dürfen? Jeder Möbelhändler und Autohändler würde da sofort zugreifen …
Also: Nicht zu früh freuen, liebe Arbeitnehmer mit regelmäßigen „unbezahlten“ Überstunden.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
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