Reisezeiten im Aussendienst sind Arbeitszeit

und müssen bezahlt werden, auch die Fahrt vom Homeoffice zum Kunden, das entschied jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 22.4.2009, 5 AZR 292/08).

Das Urteil hat große Relevanz zur Aussendienstmitarbeiter und Vertriebsmitarbeiter mit Homeoffice. Das beklagte Unternehmen wollte dem Servicemitarbeiter die tägliche Fahrt vom Homeoffice zum ersten Kunden und zum letzten Kunden nur bezahlen, wenn diese mehr als 30 Minuten in Anspruch nimmt, zog also eine fiktive Fahrt vom Wohnort zum Arbeitsort ab. Das Bundesarbeitsgericht wies dieses Ansinnen mit klaren Worten zurück:

„Arbeit ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (BAG 8. März 1961 – 4 AZR 71/59 – BAGE 11, 23, 26; 11. Oktober 2000 – 5 AZR 122/99 – BAGE 96, 45, 51; 16. Januar 2002 – 5 AZR 303/00 – zu I 1 a der Gründe, AP EntgeltFG § 2 Nr. 7 = EzA EntgeltfortzG § 2 Nr. 2; 14. November 2006 – 1 ABR 5/06 – BAGE 120, 162, 169).  Keine Arbeit wird für den Arbeitgeber durch den Weg zur Arbeit erbracht (BAG 21. Dezember 2006 – 6 AZR 341/06 – BAGE 120, 361, 365).  Dagegen gehört die Reisetätigkeit bei Außendienstmitarbeitern zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten (§ 611 Abs. 2 BGB). Mangels festen Arbeitsorts können sie ihre vertraglich geschuldete Arbeit ohne dauernde Reisetätigkeit nicht erfüllen. Das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit ist darauf gerichtet, verschiedene Kunden zu besuchen, wozu die jeweilige Anreise zwingend gehört (BAG 28. März 1963 – 5 AZR 209/62 – zu II 2 b der Gründe, AP BGB § 611 Wegezeit Nr. 3; 3. September 1997 – 5 AZR 428/96 – BAGE 86, 261, 265; 14. November 2006 – 1 ABR 5/06 – aaO). Das gilt nicht nur für die Fahrten zwischen den Kunden. Die Fahrten zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und stellen nach der Verkehrsanschauung jedenfalls bei Außendienstmitarbeitern, Vertretern, „Reisenden“ uä. insgesamt die Dienstleistung iSd. §§ 611, 612 BGB dar. Das ist unabhängig davon, ob der Fahrtantritt ab der Betriebsstätte des Arbeitgebers oder ab der Wohnung des Arbeitnehmers erfolgt. Solche Fahrten sind nicht mit Fahrten zu mehrwöchigen Einsätzen in anderen Betrieben (hierzu BAG 30. Januar 2002 – 10 AZR 441/01 – Rn. 35) gleichzusetzen. In jedem Falle ist eine dem Arbeitgeber zugute kommende Arbeitsleistung dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer bei An- und Abreise selbst tätig werden muss und die Fahrt vom Arbeitgeber kraft Direktionsrechts bestimmt wird (vgl. BAG 16. Januar 2002 – 5 AZR 303/00 – zu I 1 b der Gründe, aaO; 14. November 2006 – 1 ABR 5/06 – aaO).“

Damit dürfte den in letzter Zeit tatsächlich  zunehmenden Versuchen, die Reisen zu den Kunden wie Wegezeit als nicht vergütete Arbeitszeit zu behandeln, der Boden entzogen sein. Selbstverständlich sind die Reisen im Aussendienst auch Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes, so dass bei Ruhezeiten und Pausen auch die Reisezeiten zu beachten sind.

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Rechtsanwälte und Fachanwälte

Rechtsanwalt Felser berät und vertritt Betriebsräte bei Arbeitszeitfragen und hat in zahlreiche Einigungsstellen zur Arbeitszeit als Beisitzer an Lösungen mitgewirkt. Die Anwälte der Kanzlei vertreten regelmäßig Arbeitnehmer bei Streitigkeiten um Mehrarbeit.

Interviews von Anwälten der Kanzlei zum Thema Mehrarbeit und Überstunden:

Aachener Zeitung vom 4.5.2015: Wieder länger im Büro: Was Mitarbeiter über Überstunden wissen müssen. Ein Beitrag von Verena Wolff (dpa) mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Felser [1]

Bild.de vom 7.8.2014: Ratgeber › Job & Karriere › Arbeitsrecht › Chef-Anruf nach Feierabend: Muss ich ständig erreichbar sein? Rechtsanwalt Felser beantwortet fragen zu Überstunden u.a. [2]

WDR 2 Radio vom 15.08.2012: WDR 2 Quintessenz – Ärger um unbezahlte Überstunden: Ausbeutung nach Feierabend? Rechtsanwalt Felser live im WDR Studio. [3]

Bild.de vom 29.01.2012: Immer mehr Arbeit Jeder Zweite hat eine 50-Stunden-Woche! Ein Beitrag von Von GUIDO ROSEMANN mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser [4]

WDR 2 Quintessenz vom 17.01.2012: Weder Geld noch Feierabend : Wann Überstunden nicht bezahlt werden. Ein Beitrag von Clemens Hoffmann. Rechtsanwalt Michael W. Felser beantwortet Hörerfragen live im Studio mit Gudrun Höpker. Podcast mit Auszügen online [5]

Bild.de vom 28.9.2010: 10 Prozent arbeiten regelmässig länger Kann mich mein Chef zu Überstunden zwingen? Ein Beitrag mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser [6]

Mens Health vom 15.06.2009: Arbeitszeit – Bestimmt der Chef den Feierabend? Rechtsanwalt Felser beantwortet Leserfrage. [7]

Geldidee Heft 12/2008: All you can work. Überstunden sind gängige Praxis in vielen Unternehmen. Wann Mitarbeiter Ausgleich fordern dürfen. Mit Interview Rechtsanwalt Michael W. Felser. Leider nicht mehr online.

Der Tagesspiegel vom 17.08.2008: Karriere – Was der Chef darf. Überstunden. Die dritte Nachtschicht in Folge, der Urlaub kurzfristig gestrichen und wer in Jeans kommt, darf gleich wieder gehen. Der Boss bestimmt. Doch hat er eigentlich auch das Recht dazu? [8]

Staufenbiel Ratgeber: Arbeitsvertrag – Das sollten Sie beachten: Überstunden bergen Streit-Potenzial. Mit Interviewzitaten von Rechtsanwalt Michael W. Felser und Empfehlung von Arbeitsvertrag.de[9]

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