Häufig streiten sich die Leitungen von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen um die Frage, wer Tendenzträger ist. Für den Arbeitgeber sind allenfalls die Pförtner und das Küchenpersonal keine Tendenzträger, für den Betriebsrat dagegen sind allenfalls die Ärzte Tendenzträger. Die Einordnung hat erhebliche Bedeutung, weil das Bestehen und der Umfang von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats in Tendenzbetrieben davon abhängt.

Das LAG Hamm hat in einem aktuellen Fall bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) nur die Mitglieder der Pflegedienstleitung als Tendenzträger angesehen (LAG Hamm vom 10.08.2007 – 13 TaBV 26/07):

„Als stellvertretende Pflegedienstleiterin im Seniorenzentrum H1 kommt ihr in allen Fällen der Abwesenheit der Pflegedienstleiterin T1, also nicht nur bei Urlaub und Arbeitsunfähigkeit z.B., sondern immer auch dann, wenn Frau T1 als stellvertretende Heimleiterin in H1 oder B5 zum Einsatz kommt, die Aufgabe zu, eigenverantwortlich den Pflegedienstbereich in der mit ca. 193 Betten bestückten Einrichtung in H1 zu leiten und alle ihr dann unterstellten Pflegekräfte zu beaufsichtigen. Dabei ist sie nach den gesetzlichen Vorgaben unter anderem dafür verantwortlich, den Pflegeprozess fachlich zu planen und zu organisieren sowie eine fachgerechte Dokumentation und Kontrolle sicherzustellen (s. die Vereinbarungen betr. die Maßstäbe und Grundsätze zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität, BAnz. Nr. 213, S. 12041, gestützt auf § 80 Abs. 1 SGB XI).

Die hervorgehobene Stellung der Mitglieder der Pflegedienstleitung kommt unter anderem auch darin zum Ausdruck, dass die in dieser Funktion zum Einsatz kommenden Beschäftigten nach § 4 Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 HeimpersonalVO eine Ausbildung als staatlich anerkannte Fachkraft im Gesundheits- oder Sozialwesen aufweisen und über eine Dauer von mindestens zwei Jahren die für die Leitung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erworben haben müssen.

Aus alledem wird deutlich, dass die Beschäftigten, denen die Leitung der Pflegenden in einer Einrichtung der stationären Altenhilfe übertragen worden ist, prägenden Einfluss auf die Verwirklichung der verfolgten Tendenz haben, ältere Menschen zu betreuen, zu versorgen und zu pflegen. Dabei steht ihnen z.B. bei der täglichen Dienstplangestaltung und der Kontrolle der Pflegeabläufe ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum zu, wodurch sie sich vom übrigen an Richtlinien und Weisungen gebundenen Pflegepersonal deutlich unterscheiden.“

so das Landesarbeitsgericht.

Das normale Pflegepersonal ist daher nicht als Tendenzträger anzusehen. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bestehen bei diesen uneingeschränkt auch im Tendenzunternehmen.

Wer in einem Tendenzunternehmen arbeitet, ist nämlich nicht zwangsläufig Tendenzträger, so das Bundesarbeitsgericht:

„a) Beschäftigte sind Tendenzträger, wenn die Bestimmungen und Zwecke des jeweiligen in § 118 Abs. 1 BetrVG genannten Unternehmens oder Betriebs für ihre Tätigkeit inhaltlich prägend sind (BAG 13. Februar 2007 – 1 ABR 14/06 – Rn. 16, BAGE 121, 139). Dies setzt voraus, dass sie die Möglichkeit haben, in dieser Weise auf die Tendenzverwirklichung Einfluss zu nehmen (BAG 12. November 2002 – 1 ABR 60/01 – zu B II 2 b bb der Gründe mwN, BAGE 103, 329). Eine bloße Mitwirkung bei der Tendenzverfolgung genügt dafür nicht (BAG 18. April 1989 – 1 ABR 2/88 – zu B II 2 c der Gründe mwN, BAGE 61, 305).

bb) Die Voraussetzungen für die Tendenzträgereigenschaft sind wegen des durch § 118 Abs. 1 BetrVG vermittelten Grundrechtsbezugs in Abhängigkeit von den in der Vorschrift aufgeführten Unternehmens- und Betriebszwecken zu bestimmen. Mit dem Tendenzschutz hat der Gesetzgeber das aus dem Demokratie- und Sozialstaatsprinzip folgende Recht der Arbeitnehmer auf Teilhabe an den sie betreffenden Angelegenheiten mit Rücksicht auf die grundrechtlichen Freiheitsrechte der von § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfassten Arbeitgeber begrenzt (Fitting BetrVG 25. Aufl. § 118 Rn. 2). In Bezug auf diese Arbeitgeber erweist sich § 118 Abs. 1 BetrVG als eine grundrechtsausgestaltende Regelung, bei deren Auslegung und Anwendung es nicht auf das Gewicht der durch die in Frage stehenden Mitbestimmungsrechte geschützten Belange der Arbeitnehmer ankommt (BAG 20. April 2010 – 1 ABR 78/08 – Rn. 18, EzA BetrVG 2001 § 118 Nr. 9). Die in ihr bestimmte eingeschränkte Geltung der organisatorischen Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und seiner Beteiligungsrechte führt zu einer von Verfassungs wegen gebotenen Privilegierung der davon begünstigten Arbeitgeber. Die Verwirklichung ihrer unternehmerischen Ziele darf durch die betriebliche Mitbestimmung nicht ernsthaft beeinträchtigt werden, da ansonsten ihre durch § 118 Abs. 1 BetrVG geschützten Freiheitsrechte verletzt würden. An einer solchen Beeinträchtigung von grundrechtlichen Rechtspositionen fehlt es aber bei Unternehmen und Betrieben, die lediglich karitativen oder erzieherischen Bestimmungen außerhalb des durch Art. 7 Abs. 4, 5 GG geschützten Bereichs dienen (BAG 5. Oktober 2000 – 1 ABR 14/00 – zu B II 1 b aa der Gründe, AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 67 = EzA BetrVG 1972 § 118 Nr. 72). Bei diesen beruht die eingeschränkte Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes auf ihrem besonderen Unternehmenszweck. Die damit verbundene Privilegierung hält sich zwar im Rahmen des dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der betrieblichen Mitbestimmung zustehenden Entscheidungsspielraums und ist deshalb mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Der unterschiedliche Bezug zu den besonderen Freiheitsrechten des Grundgesetzes und die durch § 118 Abs. 1 BetrVG vermittelte Begünstigung bei der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes gebietet es aber, bei diesen Arbeitgebern für die Tendenzträgereigenschaft ihrer Beschäftigten ein höheres Maß an Einflussnahme auf die geschützte Tendenz zu verlangen, als bei den anderen von § 118 Abs. 1 BetrVG erfassten Arbeitgebern.

cc) Bei Arbeitgebern, deren unternehmerische Betätigung einem besonderen Grundrechtsschutz unterliegt, können die Voraussetzungen für die Tendenzträgereigenschaft einzelner Arbeitnehmer schon dann erfüllt sein, wenn jenen in nicht völlig unbedeutendem Umfang Arbeiten übertragen sind, durch die sie Einfluss auf die grundrechtlich geschützte Tendenzverwirklichung des Arbeitgebers nehmen können (BAG 20. April 2010 – 1 ABR 78/08 – Rn. 21, EzA BetrVG 2001 § 118 Nr. 9; 20. November 1990 – 1 ABR 87/89 – zu B IV 4 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 47 = EzA BetrVG 1972 § 118 Nr. 57).

Bei Arbeitgebern hingegen, bei denen der durch § 118 Abs. 1 BetrVG vermittelte Grundrechtsbezug einen so weitgehenden Schutz nicht erfordert, setzt die Tendenzträgereigenschaft der von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer voraus, dass diese bei den tendenzbezogenen Tätigkeitsinhalten im Wesentlichen frei über die Aufgabenerledigung entscheiden können. Die Möglichkeit zur unmittelbaren Einflussnahme auf die karitative oder erzieherische Tendenz fehlt hingegen, wenn sie bei diesen Aufgaben über keinen oder nur einen geringfügigen Gestaltungsfreiraum verfügen, etwa weil sie einem umfassenden Weisungsrecht oder Sachzwängen ausgesetzt sind (BAG 12. November 2002 – 1 ABR 60/01 – zu B II 2 b bb (2) der Gründe, BAGE 103, 329). Andererseits setzt die Tendenzträgereigenschaft nicht notwendig die alleinige Entscheidungsbefugnis des Arbeitnehmers voraus. Ein inhaltlich prägender Einfluss auf die karitative oder erzieherische Tendenzverwirklichung kann auch dann anzunehmen sein, wenn der Arbeitnehmer in bedeutende planerische, konzeptionelle oder administrative Entscheidungen in dem tendenzgeschützten Bereich einbezogen ist und sein Beitrag vom Arbeitgeber aufgrund seiner besonderen Fachkunde nicht übergangen werden kann. Eine Vorgesetztenstellung allein vermag die Tendenzträgereigenschaft hingegen nicht zu begründen. Der Arbeitnehmer muss vielmehr durch seine Weisungen gerade auf die unmittelbar von dem Arbeitgeber verwirklichte Tendenz Einfluss nehmen. In zeitlicher Hinsicht reicht ein unbedeutender Anteil der tendenzbezogenen Aufgaben an der Arbeitszeit des Arbeitnehmers ebenfalls nicht aus. Für die Annahme einer Tendenzträgereigenschaft ist regelmäßig ein bedeutender Anteil an seiner Gesamtarbeitszeit erforderlich. Nur unter diesen Voraussetzungen ist die durch § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG bewirkte Begünstigung der Unternehmen mit einer karitativen oder erzieherischen Zweckbestimmung gerechtfertigt.

dd) Bei der Bewertung des Gestaltungsfreiraums eines im tendenzgeschützten Bereich beschäftigten Arbeitnehmers steht dem Gericht der Tatsacheninstanz ein Beurteilungsspielraum zu. Dessen fallbezogene Würdigung ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob der Sachverhalt fehlerfrei festgestellt wurde, die Bewertungsmaßstäbe nicht verkannt sind und die Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Punkte vertretbar erscheint.

ee) Danach sind die in den Wohnheimen der Arbeitgeberin beschäftigten pädagogischen Mitarbeiter keine Tendenzträger in Bezug auf die von der Arbeitgeberin verfolgte karitative Tendenz.“

(BAG, Beschluss vom 14. September 2010 – 1 ABR 29/09 –, BAGE 135, 291-300)

Viel zu häufig nehmen Arbeitgeber an, dass es sich bei Arbeitnehmern ihres Unternehmens um Tendenzträger handelt. Individualrechtlich hat das ohnehin keine Auswirkungen. Aber kollektivrechtlich ist jede belastende Maßnahme unwirksam, wenn sich später herausstellt, dass der Arbeitnehmer kein Tendenzträger war.

 

Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Brühl und Köln

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