Wenn Sie heute eine Benachrichtigung in ihrem Briefkasten finden, dass ein Einschreiben Rückschein für sie eingegangen ist, sie aber nicht angetroffen wurden, so dass das Einschreiben auf dem Postamt abgeholt werden muss: lassen sie sich ruhig Zeit, denn es könnte das Kündigungsschreiben ihres Arbeitgebers sein.
Ein Kündigungsschreiben per Einschreiben Rückschein zu versenden, gilt als sichere Zustellungsart – ein fataler Irrtum. Da sowohl für die Kündigung durch den Arbeitnehmer als auch die Kündigung durch den Arbeitgeber gesetzlich die Schriftform vorgeschrieben ist, kommen moderne Kommunikationsmittel wie Whatsapp, SMS, MMS, Messanger, E-Mail und Telefax nicht in Betracht, denn diese wahren die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform nicht.Es muss also ein Kündigungsschreiben her, und das wird oft nicht übergeben (was am sichersten ist), sondern mit der Post versendet.
Dann geschieht folgendes:
So beschreibt die Deutsche Post das Verfahren beim Einschreiben Rückschein:
Beim EINSCHREIBEN RÜCKSCHEIN übergibt der Zusteller Ihre Sendung persönlich nur gegen Unterschrift an den Empfänger oder einen Empfangsberechtigten*. Sie bekommen die Empfangsbestätigung mit dem Zustelldatum und der Originalunterschrift des Empfängers zugesendet. Die Variante mit Rückschein ist immer dann erste Wahl, wenn der Versand wichtiger Dokumente und die Einhaltung von Fristen rechtssicher nachgewiesen werden sollen.
* Empfangsberechtigter ist z. B. der Ehegatte oder ein Bevollmächtigter.
An wen wird ein Einschreiben ausgeliefert?
Den Empfänger. Dazu gehören:
Natürliche Personen
Vertreter einer juristische Person (z.B. GmbH, Aktiengesellschaft /Behörde, Anstalt des öffentlichen Rechts)
Den Ehegatten des Empfängers.
Einen Empfangsbevollmächtigten:
Ein vom Empfänger schriftlich Bevollmächtigter.
Bestimmte Ersatzempfänger. Dazu gehören:
In den Räumen des Empfängers anwesende Angehörige des Empfängers oder seines Ehegatten
Andere in den Räumen des Empfängers anwesende Personen bei denen angenommen werden kann, dass Sie zur Entgegennahme berechtigt sind.
Bei Einschreiben und Einschreiben Rückschein ist die Aushändigung an Hausbewohner und Nachbarn ausgeschlossen
Was passiert wenn der Empfänger das Einschreiben nicht annimmt?
Empfänger, Ehegatten, Empfangsbevollmächtigte und Postempfangsbeauftragte können die Annahme eines Einschreiben verweigern. Ersatzempfänger sind dazu nicht berechtigt.
In diesen Fällen wird die Sendung als Einschreiben an den Absender zurückgesandt. Rückscheine werden nicht zurückgesandt.
Soweit die Post. Und an dieser Stelle beginnt das Problem mit der angeblich sicheren Zustellungsart Einschreiben Rückschein.
Lassen wir die Gerichte sprechen:
„Zugegangen im Sinne des § 130 BGB ist eine Willenserklärung dann, wenn sie in den Bereich des Empfängers gelangt ist. Dies ist regelmäßig bei Einwurf in den Hausbriefkasten anzunehmen, da der Empfänger dann im Anschluss an die üblichen Zustellzeiten vom Inhalt der Willenserklärung Kenntnis nehmen kann. Bei der Versendung per Einschreiben steckt jedoch der Postbote nicht die Willenserklärung, sondern nur den Benachrichtigungszettel in den Hausbriefkasten. Durch den Benachrichtigungszettel wird der Empfänger lediglich in die Lage versetzt, das Einschreiben in seinen Machtbereich zu bringen. Die Niederlegung des Einschreibens bei der Post und die Benachrichtigung des Empfängers von der Niederlegung können deshalb den Zugang der Willenserklärung nicht ersetzen. Zugegangen ist das Einschreiben erst mit der Aushändigung des Originalschreibens durch die Post. Auch wenn der Empfänger den Zugang des Einschreibens dadurch verzögert, dass er den Einschreibebrief nicht unverzüglich beim Postamt abholt, rechtfertigt dies noch nicht, einen anderen Zugangszeitpunkt, etwa den der frühestmöglichen Abholung des Einschreibebriefs, zu fingieren. Bis zu ihrem Zugang bleibt der Absender Herr seiner Erklärung. Geht etwa das per Einschreiben versandte Kündigungsschreiben an den Absender zurück, so unterliegt es seiner freien Entscheidung, ob er einen neuen Zustellungsversuch bewirken oder überhaupt von seiner Kündigungsabsicht Abstand nehmen will. Es leuchtet nicht ein, durch eine Zugangsfiktion den Absender an seine ursprüngliche Erklärung schon zu binden, bevor diese den Adressaten erreicht hat. Auch im Falle der Zugangsverzögerung wird die Erklärung damit grundsätzlich nur wirksam, wenn der Erklärende nach der Kenntnis dessen, dass die Erklärung den Empfänger nicht erreicht hat, unverzüglich erneut den Zugang bewirkt (BAG 25. April 1996 – 2 AZR 13/95 – Rn. 16 und 17, NJW 1997, 146). Der Empfänger einer Willenserklärung kann sich nach Treu und Glauben nicht auf den verspäteten Zugang der Willenserklärung berufen, wenn er die Zugangsverzögerung selbst zu vertreten hat. Er muss sich dann so behandeln lassen, als habe der Erklärende die entsprechenden Fristen gewahrt. Wer aufgrund bestehender oder angebahnter vertraglicher Beziehungen mit dem Zugang rechterheblicher Erklärungen zu rechnen hat, muss geeignete Vorkehrungen treffen, dass ihn derartige Erklärungen auch erreichen. Tut er dies nicht, so wird darin vielfach ein Verstoß gegen die durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder den Abschluss eines Vertrages begründeten Sorgfaltspflichten gegenüber seinem Partner liegen. Auch bei schweren Sorgfaltsverstößen kann der Adressat nach Treu und Glauben regelmäßig aber nur dann so behandelt werden, als habe ihn die Willenserklärung erreicht, wenn der Erklärende alles Erforderliche und ihm Zumutbare getan hat, damit seine Erklärung den Adressaten erreichen konnte (BAG 22. September 2005 – 2 AZR 366/04 – Rn. 15, NZA 2006, 204). Dazu gehört in der Regel, dass er nach Kenntnis von dem nicht erfolgten Zugang unverzüglich einen erneuten Versuch unternimmt, seine Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers zu bringen, dass diesem ohne weiteres eine Kenntnisnahme ihres Inhalts möglich ist. Dies folgt daraus, dass eine empfangsbedürftige Willenserklärung Rechtsfolgen grundsätzlich erst dann auslöst, wenn sie zugegangen ist. Welcher Art dieser erneute Versuch des Erklärenden sein muss, hängt von den konkreten Umständen, wie den örtlichen Verhältnissen, dem bisherigen Verhalten des Adressaten, den Möglichkeiten des Erklärenden und auch von der Bedeutung der abgegebenen Erklärung ab und kann allgemein nicht entschieden werden. Ein wiederholter Zustellungsversuch des Erklärenden ist allerdings dann nicht mehr sinnvoll und deshalb entbehrlich, wenn der Empfänger die Annahme einer an ihn gerichteten schriftlichen Mitteilung grundlos verweigert, obwohl er mit dem Eingang rechtserheblicher Mitteilungen seines Vertrags- oder Verhandlungspartners rechnen muss. Gleiches wird zu gelten haben, wenn der Adressat den Zugang der Erklärung arglistig vereitelt (BGH 26. November 1997 – VIII ZR 22/97 – Rn. 18, NJW 1998, 976).“
(Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28. April 2014 – 2 Sa 5/14 –, Rn. 29, juris)
Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht den Zugang eines nicht sofort, sondern erst Tage nach der Benachrichtigung abgeholten Kündigungsschreibens auf den Tag der Abholung datiert.
„Nachdem im zweiten Ausbildungsverhältnis Fehlzeiten der Klägerin aufgetreten waren, kündigte die Beklagte den Ausbildungsvertrag mit Schreiben vom 24. November 2011. Das mit Einschreiben/Rückschein übermittelte Kündigungsschreiben holte die Klägerin erst am 8. Dezember 2011 ab.“
(BAG, Urteil vom 12. Februar 2015 – 6 AZR 831/13 –, Rn. 7, juris)
„Das Landesarbeitsgericht hat mit zutreffenden Erwägungen erkannt, dass das Ausbildungsverhältnis der Parteien durch die während der Probezeit erklärte Kündigung der Beklagten vom 24. November 2011 gemäß § 22 Abs. 1 BBiG mit Zugang dieser Kündigung am 8. Dezember 2011 beendet worden ist.“
(BAG, Urteil vom 12. Februar 2015 – 6 AZR 831/13 –, Rn. 13, juris)
Also: Der Empfänger muss das Einschreiben Rückschein nicht annehmen. Der Postbote wird dann die Kündigung nicht in den Briefkasten, sondern einen Benachrichtigungsschein. Dieser führt nicht dazu, dass das Kündigungsschreiben zugegangen wäre. Das Kündigungsschreiben nimmt der Postzusteller nämlich wieder mit auf das Postamt und legt es dort zur Abholung bereit. Wird es nicht abgeholt, wird es an den Absender zurückgeschickt. Ergebnis: das Kündigungsschreiben ist NICHT zugegangen. Wird es abgeholt, aber Tage nachdem der Zusteller das Schreiben auf dem postamt hinterlegt hat, kann dies dazu führen, dass die Kündigungsfrist sich verlängert, weil das Schreiben meist vor dem Ende des Monats zugegangen sein muss oder soll.
Im Falle eines von uns vertretenen Mandanten mit Kündigungsfrist zum Quartalsende verlängerte sich das Arbeitsverhältnis so um drei volle Monate (zu je 8000 Euro Entgelt pro Monat). Das Einschreiben Rückschein kann also ein teures Missvergnügen werden.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Brühl und Köln
Autor des mit der Arbeiterichterin Frau Lore Seidel geschriebenen
Ratgebers „Kündigung – was tun?“
Autor zahlreicher weiterer Fachbeiträge zum Thema Kündigung, insbesondere zur Anhörung des Betriebsrats bei der Kündigung
Rechtsanwalt Felser gibt als Arbeitsrechtsexperte regelmäßig Interviews im WDR Fernsehen und Radio [5], für Bild und Bild.de [6] sowie für die Süddeutsche Zeitung [7]
Als Arbeitsrechtsexperte hat er weit über 100 Interviews auch für Medien wie Focus, Capital, Wirtschaftsmedien und Tageszeitungen gegeben.