Mindestlohn (Mindestentgelt) in der Pflege auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 19. November 2014 – Aktenzeichen 5 AZR 1101/12 entschieden, dass das in der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbv) verbindlich festgeschriebene Mindestentgelt (Mindestlohn) nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen ist. Lediglich zur Rufbereitschaft traf das Bundesarbeitsgericht keine Aussage, weil dies nicht Gegenstand des Rechtsstreits war.
Zwar liegt bis dato lediglich die Pressemitteilung vor, aus der sich aber alle wichtigen Informationen ergeben.
Die 50 Jahre alte Klägerin war bei einem privaten Pflegedienst als Pflegehelferin gegen ein Bruttomonatsentgelt von 1.685,85 Euro beschäftigt.
Zu ihren Aufgaben gehörte ua. die Pflege und Betreuung von zwei Schwestern, die beide an Demenz leiden und an den Rollstuhl gebunden sind. Neben den eigentlichen Pflegeleistungen war die Klägerin auch für Tätigkeiten im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung der Schwestern (wie zB Zubereiten von Frühstück und Abendessen, Wechseln und Waschen von Wäsche) verantwortlich.
Die Klägerin arbeitete in zweiwöchigen 24-Stunden-Diensten, während derer sie verpflichtet war, an der Pflegestelle anwesend zu sein. Diese Tätigkeit wurden nur durch eine einstündige Mittagspause und einen einstündigen Gottesdienst unterbrochen. Die Pflegekraft bewohnte in den Arbeitsphasen im Haus der Schwesternschaft ein Zimmer in unmittelbarer Nähe zu den zu betreuenden Schwestern.
Die Pflegehelferin hat das Mindestentgelt von – damals – 8,50 Euro je Stunde nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV eingeklagt mit der Begründung, das Mindestentgelt sei für jede Form der Arbeit zu zahlen. Ihre Arbeitgeberin war der Meinung, das Mindestentgelt nach der PflegeArbbV sei nur für normale Dienste. aber nicht für Bereitschaftsdienst zu zahlen. Für diesen könne arbeitsvertraglich eine geringere Vergütung vereinbart werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage zum größten Teil abgewiesen. Erst durch die Berufung bekam die Klägerin beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Recht. Das LAG teilte die Meinung der KLägerin, auch die Bereitschafszeiten seien mit dem Mindestentgelt (Mindestlohn) zu vergüten. Lediglich die Zeiten des Mittagessens und der Teilnahme am Gottesdienst hat das Landesarbeitsgericht als Pausen gewertet, für die kein Entgelt zu zahlen sei.
Der Pflegedienst legte dagegen Revision beim Bundesarbeitsgericht ein. Dieses gab der Klägerin in letzter Instanz Recht:
„Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV ist „je Stunde“ festgelegt und knüpft damit an die vergütungspflichtige Arbeitszeit an. Dazu gehören nicht nur die Vollarbeit, sondern auch die Arbeitsbereitschaft und der Bereitschaftsdienst. Während beider muss sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten, um im Bedarfsfalle unverzüglich die Arbeit aufzunehmen. Zwar kann dafür ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit bestimmt werden. Von dieser Möglichkeit hat der Verordnungsgeber im Bereich der Pflege aber keinen Gebrauch gemacht. Deshalb sind arbeitsvertragliche Vereinbarungen, die für Bereitschaftsdienst in der Pflege ein geringeres als das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV vorsehen, unwirksam.“
so das Bundesarbeitsgericht in seiner Pressemitteilung.
Kommentar Rechtsanwalt Felser:
Das Urteil hat weitreichende Auswirkungen und ist für die Beschäftigten in der Pflege zu begrüßen. Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft sind wie Vollarbeit mindestens nach den in § 2 PflegeArbbV http://www.gesetze-im-internet.de/pflegearbbv/__2.html geregelten Stundensätzen zu vergüten. Ein höheres Entgelt kann sich aus Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag ergeben und bleibt davon unberührt. Im Arbeitsvertrag darf allerdings keine geringere Vergütung als das in § 2 PflegeArbbV vorgesehene Mindestentgelt (Mindestlohn) vereinbart werden. Aber auch in Tarifverträgen können – auch wenn das Bundesarbeitsgericht das nicht zu entscheiden hatte – für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienste keine geringeren Stundenlöhne vereinbart werden. Denn § 2 PflegeArbbV sieht nämlich weder für Arbeitsverträge noch für Tarifverträge eine Ausnahme vor.
Zur Rufbereitschaft musste das Bundesarbeitsgericht keine Stellung nehmen. Es ist aber davon auszugehen, dass das Bundesarbeitsgericht den Mindestlohn/das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV nicht für Rufbereitschaft zusprechen würde, weil sich der Arbeitnehmer nicht an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten muss. Hier ist allerdings genau zu prüfen, ob es sich tatsächlich um Rufbereitschaft handelt, denn die Arbeitsgerichte sehen bei engen zeitlichen Vorgaben bis zur Arbeitsaufnahme oder sonstigen Umständen, die die freie Aufenthaltswahl bei Rufbereitschaft einschränken, dass in Wirklichkeit Bereitschaftsdienst vorliegt. Dann könnte auch für Rufbereitschaft das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV fällig werden.
Vorsicht Ausschlussfrist: Beschäftigte müssen sich sputen, um den Anspruch auf den Mindestlohn geltend zu machen. Nach § 4 PflegeArbbV verfallen die Ansprüche auf das Mindestentgelt, wenn sie nicht innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden:
§ 4 PflegeArbbv
Ausschlussfrist
Die Ansprüche auf das Mindestentgelt verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.
Für die Geltendmachung reicht ein normales Schreiben oder E-Mail aus, wichtig ist nur, dass der Zugang nachgewiesen werden kann. In dem Schreiben muss der Betrag nicht genau beziffert werden, ausreichend ist, wenn der Arbeitgeber dem Schreiben entnehmen kann, für welche Dienste das Mindestentgelt verlangt wird. Die Ausschlussfrist sollte nicht erwähnt werden.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 63/14 – Mindestentgelt in der Pflegebranche zum Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. November 2014 – 5 AZR 1101/12 –
Link zur Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbv)
Autor dieses Beitrags:
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Berater vieler Betriebsräte in der Pflege
und Autor zahlreicher Fachbeiträge im Bund-Verlag
ausserdem:
KiTa-Spezial Arbeits- und Gesundheitsschutz in der KiTa Sonderausgabe 2/2010 I Wolters-Kluwers I Der „Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz in der KiTa“ I Mai 2010, ein Fachaufsatz von Michael W. Felser I