Betriebsräte in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern haben auch bei Ein- und Umgruppierungen nach dem Entgeltrahmen-Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie (ERA-TV) ein gesetzliches Beteiligungsrecht nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. So hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) am 12.01.2010 entschieden, dass der ERA-TV für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg trotz seiner umfangreicher verbindlicher Regelungen zur Einstufung der Arbeitsaufgaben dieses Mitbestimmungsrecht nicht beseitigt (7 ABR 34/09) .
Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG muss der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Ein- und Umgruppierung unterrichten und seine Zustimmung einholen. Dieses gesetzliche Beteiligungsrecht sichert die rechtliche Mitbeurteilung des Betriebsrats bei der vom Arbeitgeber vorzunehmenden Zuordnung des einzelnen Arbeitnehmers zu einer bestimmten Entgeltgruppe einer im Betrieb geltenden Vergütungsordnung. Nach § 9.1 ERA-TV hat der Beschäftigte Anspruch auf das Grundentgelt derjenigen Entgeltgruppe, die der Einstufung der ausgeführten Arbeitsaufgabe entspricht. Bewertung und Einstufung der Arbeitsaufgabe erfolgen nach einem im ERA-TV festgelegten Verfahren. Hierbei besteht nach Ansicht des BAGs kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Nach § 9.2 ERA-TV teilt der Arbeitgeber dem Beschäftigten und dem Betriebsrat die sich aufgrund der Einstufung der Arbeitsaufgabe ergebende Entgeltgruppe schriftlich mit.
In der dazu erforderlichen Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer Entgeltgruppe des ERA-TV liegt hingegen die nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierung, meinen die Richter des BAGs. Diese vom Arbeitgeber vorzunehmende Zuordnung der einzelnen Arbeitnehmer entfalle nicht deshalb, weil die Einstufung der Arbeitsaufgabe in dem tariflich geregelten Verfahren verbindlich festgelegt werd. Insbesondere bleibe zu prüfen, so das BAG, ob die mitgeteilte Entgeltgruppe der bewerteten und eingestuften Arbeitsaufgabe entspricht und ob der Arbeitnehmer die Arbeitsaufgabe tatsächlich ausführt. Hierbei sei der Betriebsrat zu beteiligen. Sein Mitbestimmungsrecht werde auch durch das im ERA-TV geregelte Reklamationsverfahren nicht suspendiert.
Zum Hintergrund:
Anders als die Vorinstanzen hat der Siebte Senat des BAGs dem auf die Feststellung seines Beteiligungsrechts bei der Ein- und Umgruppierung von Arbeitnehmern in den ERA-TV gerichteten Antrag eines Betriebsrats stattgegeben.Der Betriebsrat eines Unternehmens der Metall- und Elektroindustrie, das ein 100%iges Tochterunternehmen der Carl-Zeiss AG mit Betriebssitz in Oberkochen ist, hat dieses Verfahren gegen den Arbeitgeber geführt. Der Arbeitgeber ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes SÜDWESTMETALL e.V. . Aufgrund des Betriebssitzes unterfällt er der Tarifregelungen der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg in den Tarifbezirken Nordwürttemberg/Nordbaden. Der Arbeitgeber hatte in seinem Betrieb zum 1. Januar 2008 den ERA-TV eingeführt. Mit dem ERA-TV wurde im Jahre 2003 ein neues System geschaffen, um das Entgelt von Beschäftigten zu ermitteln. Mit diesem System sollen die Entgelte vereinheitlicht werden und damit eine größere Entgeltgerechtigkeit auch zwischen den Gruppen zu erreichen.
Der Arbeitgeber war der Auffassung, dass dem Betriebsrat bei der Eingruppierung nach den Regelungen des ERA-TV kein gesetzliches Mitbestimmungsrecht zusteht, weil die Tarifvertragsparteien mit dem ERA-TV hierzu schon alles abschließend geregelt hätten.
Der Betriebsrat hatte zusammengefasst die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber unter Geltung des ERA-TV durch die Zuordnung von Mitarbeitern zu bewerteten Arbeitsaufgaben diese Mitarbeiter rechtlich betrachtet ein- bzw. umgruppiere und diese Zuordnung folglich das Mitbestimmungsrecht des § 99 Abs. 1 BetrVG auslöse. Durch den Abstraktionsgrad der tariflichen Niveaubeispiele und durch die Schaffung weiterer Zusatz- und Analogiebeispiele stünde dem Arbeitgeber ein Entscheidungsspielraum zu, welchem Mitarbeiter welche Arbeitsaufgabe zugewiesen werde und deshalb müsse eine Mitbeurteilung seitens des Betriebsrats stattfinden.
Mit Beschluss vom 20.3.2008 hatte das Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Aalen – den Antrag abgewiesen.
In zweiter Instanz hatte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) mit Beschluss vom 16. 1.2009 (5 TaBV 2/08) den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Begründet hatte das LAG seine Entscheidung wie folgt: Es komme unter Geltung des ERA-TV außerhalb von Versetzungen und Einstellungen zu keiner Beurteilung der Rechtslage, die eine mitbestimmungspflichtige Ein- oder Umgruppierung darstellt. Die Tarifvertragsparteien des ERA-TV hätten, so das LAG, eine tarifliches Konzept geschaffen, bei dessen Anwendung es zu keinem Eingruppierungsvorgang mehr kommt, ohne dass sie in das gesetzliche Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG in unzulässiger Weise eingegriffen hätten. Das Verfahren zur Bestimmung des Grundentgeltanspruchs des Beschäftigten nach ERA-TV führe zu keinem Ein- bzw. Umgruppierungsvorgang.
Diese Entscheidung hat das BAG nun mit dem hier besprochenen Beschluss aufgehoben.
Übrigens haben die Landesarbeitsgerichte im Rheinland schon vor der Entscheidung des BAGs die Auffassung vertreten, dass der Betriebsrat auch bei Ein- und Umgruppierungen nach dem ERA-TV ein Mitbestimmungsrecht haben. So hatten das Landesarbeitsgericht Düsseldorf am 19.12.2008 (10 TaBV 88/08) zum ERA-TV für Baden-Württemberg und das Landesarbeitsgericht Köln zum ERA-TV für NRW am 1.7.2008 (9 TaBV 78/07 – wir berichteten) entschieden, dass der Betriebsrat bei der Eingruppierung nach dem jeweiligen ERA-TV zu beteiligen ist.
Daniel Labrow
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte