Neues Urteil zur Zeugnisnote „gut“: Bisher galt es als gesicherte Erkenntnis = höchstrichterliche Rechtsprechung, dass der Arbeitgeber im Rechtsstreit um die Arbeitszeugnis-Note beweisen musste, daß die Leistungen des Arbeitnehmers unterdurchschnittlich waren während der Arbeitnehmer beweisen mußte, dass seine Arbeit überdurchschnittlich war. Ein Zeugnisrechtsstreit endete daher wegen der Beweislast häufig mit der Note „befriedigend“ – für den typischerweise in Beweisnot argumentierenden Arbeitnehmer unbefriedigend. Ein Urteil des Arbeitsgerichts Berlin zur Zeugnisnote hatte 2012 für Aufregung gesorgt. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts werden nach Untersuchungen die meisten Zeugnisse mit „gut“ oder „sehr gut“ ausgestellt, so dass ein „befriedigend“ nicht mehr die Durchschnittsbewertung darstellt. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat nun in einem Urteil vom 21.03.13 das Urteil des Arbeitsgerichts in Berlin bestätigt:
„Zur Beurteilung dieser Üblichkeit hat das Arbeitsgericht sich auf eine Studie des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialpsychologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg aus dem Jahre 2011 gestützt. Dem schließt sich die erkennende Berufungskammer an.
Die Studie hat 802 Arbeitszeugnis aus den Branchen Dienstleistung, Handwerk, Handel und Industrie ausgewertet und kam zu dem Ergebnis, dass 38,8% der Zeugnisse der Leistungsbewertung 1 oder 1,5 des üblichen Notensystems, 48,5% der Zeugnisse der Note 2 oder 2,5, 11,6% der Note 3 oder 3,5, 0,6% der Note 4 sowie 0,5% schlechter als 4 zuzuordnen waren.
Diese Studie wird durch eine Auswertung von 1.000 Arbeitszeugnissen durch die Personalberatungsgesellschaft Personalmanagement Services GmbH aus März 2010 gestützt. Bei 963 mit einer Leistungszusammenfassung versehenen Arbeitszeugnissen waren die Leistungen in 33,2% der Fälle mit sehr gut, in 35,1% der Fälle mit gut, in 15,8% der Fälle durchschnittlich, in 3,3% der Fälle unterdurchschnittlich und in 0,2% der Fälle mit mangelhaft bewertet worden. (Vgl. Düwell/Dahl, „Die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung im Arbeitszeugnis“ NZA 2011, 958ff.)
Vor diesem Hintergrund kann nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer nicht mehr davon ausgegangen werden, dass es sich bei einer Leistungsbewertung mit befriedigend nach dem heutigen Verständnis des Wirtschaftslebens um eine durchschnittliche Beurteilung handelt. Denn wenn 87,3% der in 2011 ausgewerteten Zeugnisse (bzw. 68,3% der 2010 ausgewerteten Zeugnisse) (sehr) gute Leistungsbewertungen enthalten, führt dies dazu, dass ein künftiger Arbeitgeber bei der Personalauswahl Zeugnisse mit einer schlechteren Bewertung als Ausschlusskriterium betrachtet und der Arbeitnehmer damit Gefahr läuft im Bewerbungsprozess allein deswegen schlechtere Chancen zu haben.
Diese Entwicklung muss sich nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer auch im „Zeugnisberichtigungsprozess“ auswirken und zwar der Gestalt, dass die Leistungsbewertung mit gut nicht mehr als überdurchschnittlich angesehen wird, denn eine solche ist zum Durchschnitt geworden. Hieraus wiederum ist nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer zu folgern, dass die Darlegungs- und Beweislast für die seiner Beurteilungen mit befriedigend zu Grunde liegenden Tatsachen dem Arbeitgeber als Schuldner des Zeugnisanspruches aufzuerlegen ist.“
so das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Das Gericht hat allerdings die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es bleibt spannend.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
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