Scheinselbständige IT-Berater können ein Arbeitsverhältnis mit dem Endkunden haben, so das Sozialgericht München in einem aktuellen Urteil aus November 2013.
Die Beteiligten in dem Verfahren stritten um den sozialversicherungsrechtlichen Status eines IT-Beraters und die Versicherungspflicht seines Auftraggebers, einer GmbH, im Hinblick auf die Tätigkeit des Beigeladenen als Software-Entwickler bei einem T-Unternehmen im Zeitraum vom 1.7.2008 bis 30.09.2009.
Die Klägerin war eine deutsche Gesellschaft in der Gesellschaftsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung Der Beigeladene ist ein Naturwissenschaftler (Hochschulabschluss in Mathematik und Physik) ukrainischer Staatsbürgerschaft. Die Kundin der Beigeladenen, die T. GmbH & Co OHG (nunmehr: T.), ist die Tochter eines weltweit tätigen Telekommunikationskonzerns.
Das Sozialgericht München kam mit Urteil vom 21. November 2013 – S 15 R 1528/11 zu dem Ergebnis, dass der IT-Berater scheinselbständig war und damit eine Arbeitnehmerüberlassung vorlag.
„Nach den genannten Grundsätzen gelangt die Kammer unter Abwägung aller Umstände zu der Überzeugung, dass der Beigeladene vom 1.7.2008 bis zum 30.3.2009 als IT-Experte für die T. eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV) ausgeübt hat und daher Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden hat.“
(SG München, Urteil vom 21. November 2013 – S 15 R 1528/11 –, juris)
Die Gründe für dieses Ergebnis hielt das Sozialgericht München wie folgt fest:
„Die T. stellte dem Beigeladenen alle Betriebsmittel, die für seine Tätigkeit bei der T. erforderlich sind, wie insbesondere Büro, Rechner, Software und Telefonleitung. Der Beigeladene verbrachte wie ein Vollzeit-Arbeitnehmer nahezu alle möglichen Arbeitstage im Projektzeitraum (unterbrochen nur von kurzen Pausen zu Weihnachten und Ostern, in denen auch die meisten Arbeitnehmer fehlen, sowie am 9.8.2008 sowie in einer Woche im September) in den Betriebsräumen der T., um dort Programmiertätigkeiten für die T. auszuüben. Dass der Beigeladene darüber hinaus in einem geringen Umfang (acht Stunden pro Monat) auch zuhause mit seinem eigenen Laptop Recherchetätigkeiten ausführte, in geringem Umfang (150 €) aus eigenen Mitteln Fachliteratur kaufte und ein Leasing-Fahrzeug besaß, ändert nichts daran, dass die Tätigkeit sowohl im Hinblick auf die örtlich-zeitliche Dimension als auch im Hinblick auf den Einsatz von Betriebsmitteln von der T. geprägt wurde.
Zudem hat der Beigeladene als Mitglied eines Teams, das ca. zur Hälfte aus internen Beschäftigten der T. und zur Hälfte aus Externen bestand, eng mit den „eigentlichen“ Mitarbeitern der T. zusammengearbeitet. Auch war die Bezahlung des Beigeladenen (durch die Klägerin) an die Genehmigung der T. gebunden, da diese nur erfolgte, wenn die Teamleitung der T. die geleisteten Arbeitstage gegenzeichnete.
Dass die „Externen“ jeweils etwas anders gewichtete Aufgaben wahrzunehmen hatten als die „Internen“ (diese zuständig vor allem für das „low-level-design“, jene vor allem für das „software-design“, beide aber für Fehlerkorrekturen) spricht nicht gegen eine Einbettung des Beigeladenen in die Betriebsorganisation der T.. Hätte die T. die Aufgabenbereiche der Externen mit „Internen“ besetzt, würden diese die Aufgabe in keiner Weise anders ausüben als die „externen“ Mitarbeiter. Insbesondere würde sich an der Befehlshierarchie innerhalb des Teams nichts ändern.
(SG München, Urteil vom 21. November 2013 – S 15 R 1528/11 –, juris)
Das Urteil des Sozialgericht München hat gravierende Folgen für den Auftraggeber und Endkunden:
„Bei fehlerhafter Erlaubnis würde die Klägerin indes aufgrund der Fiktionswirkung von § 10 Abs. 1 AÜG i.V.m. § 9 Nr. 1 AÜG aufgrund des faktischen Arbeitsverhältnisses zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin (neben dem fingierten Arbeitsverhältnis zwischen dem Beigeladenen und der T.) gesamtschuldnerisch mit der T. für die Sozialversicherungsbeiträge haften, §§ 10 Abs. 3 AÜG, §§ 28 e Abs. 2 S. 3 u. S. 4 SGB IV (vgl. Koch in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 120 Arbeitnehmerüberlassung, 15. Auflage 2013, Rn. 61, 78).
Die Fiktionswirkung von § 10 Abs. 1 AÜG tritt – bei fehlender Erlaubnis – auch dann ein, wenn – wie vorliegend – Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer subjektiv der Auffassung waren, der Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers erfolge aufgrund eines Dienst-/Werkvertrags, es sich aber objektiv um eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung handelt (§ 1 Abs. 3 AÜG) (vgl. Koch, a.a.O., Rn. 70 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 8.11.1979, VII ZR 337, 38).“
so das SG München in seinem Urteil vom 21. November 2013 – S 15 R 1528/11.
Zwar hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass bei dauerhafter Überlassung kein Arbeitsverhältnis zum Endkunden fingiert wird, das gilt aber nicht für den Fall dass keine oder eine fehlerhafte Erlaubnis für die Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.
Der Endkunde, hier ein Unternehmen der Telekom, haftet neben dem Auftraggeber des IT-Beraters für die Sozialversicherungsbeiträge. Ausserdem besteht zwischen dem Endkunden und dem IT-Berater ein Arbeitsverhältnis. Der IT-Berater kann eine Einstellung bei dem Endkunden unter Anerkennung seiner Betriebszugehörigkeit seit Aufnahme der Tätigkeit verlangen.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt