Der Bundestag hat bereits im letzten Herbst einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der sich beim Thema „Scheinselbständigkeit“ auswirkt, weil er, wie der Titel schon sagt, „zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen und zur Verhinderung der Umgehung von arbeitsrechtlichen Verpflichtungen“ dienen soll (BT-Drucksache 18/14 vom 28.10.2013). Der Gesetzesentwurf zur Bekmämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen beschränkt sich allerdings darauf, Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungesetz und Betriebsverfassungsgesetz vorzunehmen.
Im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz soll vor allem der verbreiteten Praxis bei Einsatz von Selbständigen über Vermittler Einhalt geboten werden, die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung auf Vorrat zu beantragen, um negative Folgen für den Endkunden bei Missbrauch oder Fehlbeurteilung der Status eingesetzter Selbständiger zu vermeiden. Häufig werden Selbständige, z.B. IT-Berater, über Vermittler beim Endkunden eingesetzt. Dabei werden Rahmenverträge und Projektverträge zwischen IT-Berater und Vermittler vereinbart; es werden also Selbständige gegen einen Anteil am Stundenhonorar vermittelt. Vorsorglich haben die meisten Vermittler eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis beantragt, obwohl dem Einsatz keine Arbeitsvermittlung zugrundeliegt. Damit werden die Endkunden nach der Rechtsprechung vor einer negativen Folge einer unerlaubten Vermittlung von Arbeitnehmern geschützt, nämlich der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Selbständigem und Endkunde. Selbst wenn also tatsächlich eine sozialversicherungspflichtes Beschäftigung vorläge, schützt die Vorratserlaubnis den Endkunden vor negativen Folgen.
Das will der Gesetzesentwurf zur Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen ändern: Zum einen sollen solche Vorratserlaubnisse durch Änderungen der Befugnisse der Erlaubnisbehörde schon im Ansatz vermieden werden., indem Verlängerungen der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis aus diesem Grunde versagt werden können. Zum anderen gilt die Arbeitnehmerüberlassung nur noch dann als „erlaubt“, wenn die Personalvermittlung auch ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung mit entsprechender Erlaubnis vereinbart wurde. Damit würde zwar der bestehenden Praxis der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung mit Arbeitnehmerüberlassung auf Vorrat wirksam begegnet.
Durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen soll ein neuer Paragraph, § 99a, neu in das BetrVG eingefügt werden:
„Mitbestimmung bei Einsatz von Fremdpersonal
(1) Die in § 99 Absatz 1 Satz 1 genannten Pflichten des Arbeitgebers gelten entsprechend bei Personen, die zu ihm nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen, gleichwohl aber länger als einen Monat auf dem Gelände seines Betriebes tätig sein sollen oder sind.
(2) Der Betriebsrat kann seine Zustimmung zum Einsatz der in Absatz 1 genannten Personen jedoch nur in den Fällen des § 99 Absatz 2 Nummern 1, 3 und 6 verweigern.
(3) § 99 Absatz 1 Satz 3, Absätze 3 und 4 sowie §§ 100 und 101 sind entsprechend anzuwenden.“
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) wird wie folgt geändert:
§ 9 Nummer 1 AÜG wird wie folgt geändert. Danach sollen Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern unwirksam sein, wenn:
„1. Verträge zwischen Verleihern und Entleihern sowie zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern,
wenn
a) der Verleiher nicht die nach § 1 erforderliche Erlaubnis hat oder
b) bei vorhandener Erlaubnis die Überlassung des Leiharbeitnehmers nicht
eindeutig als Arbeitnehmerüberlassung kenntlich macht und als solche bezeichnet oder
c) die Arbeitnehmerüberlassung nicht vorübergehend erfolgt“.
Das Grundproblem der Scheinselbständigkeit, nämlich die Unbestimmtheit der für die Abgrenzung von abhängiger und selbständiger Beschäftigung entwickelten Indizien, die Subjektivität der Abwägung durch Behörden und Gerichte, der mangelhaften Einheitlichkeit der Rechtsprechung durch Individualentscheidungen und damit eine mangelnde Rechtssicherheit für Selbständige und Unternehmen, wird damit aber nicht beseitigt. Nach wie vor hängt es von der Kontrolldichte und Zufällen ab, welche Unternehmen und Selbständige die nachteiligen Folgen dieser wenig rechtsstaatlichen Situation zu spüren bekommen.
Im Betriebsverfassungsrecht wird Kosmetik betrieben. Die von der Rechtsprechung entwickelten Informationsrechte des Betriebsrats beim Einsatz von Selbständigen werden „klargestellt“,also gesetzlich festgeschrieben. Ausserdem soll der Betriebsrat beim Arbeitsschutz auch für die selbständigen Fremdbeschäftigten zuständig sein. Bei der Einstellung von Selbständigen soll dem Betriebsrat im Rahmen des § 99 BetrVG ein Zustimmungsverweigerungsrecht zum Schutz der bereits im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer eingeräumt werden.
Wie die Computerwoche am 8.4.2015 berichtete, wird offensichtlich auch an einem neuen Kriterienkatalog für die Beurteilung von Scheinselbständigkeit gearbeitet. Im Koalitionsvertrag ist geregelt, dass „zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden (…) die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßem und missbräuchlichem Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt“ werden sollen. Dies tut angesichts der Rechtsunsicherheit, die schon durch regional unterschiedliche Entscheidungen von Landessozialgerichten zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann, zwar Not. Wer die Geschichte der Kriterienkataloge in § 7 SGB IV allerdings kennt, wird wenig Hoffnung haben, dass vernünftige und transparente Kriterien in einem Gesetz verankert werden. An diesem Vorhaben sind schon in den Jahren nach dem ersten Versuch durch ein Gesetz aus dem Jahre 1999 zwei Komissionen gescheitert.
Selbständige und Unternehmen sollten daher nach wie vor auf Nummer sicher gehen, nicht nur in der IT-Branche.
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
spezialisiert auf das Querschnittsgebiet Scheinselbständigkeit
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte
Köln und Brühl
Mehr Informationen finden Sie in meinem Blogbeitrag „13 Rechtsirrtümer bei Scheinselbständigkeit” und dem Rechtslexikon unter dem Stichwort „Scheinselbständigkeit„.