Das Bundesarbeitsgericht entschied am 18.03.2009 – Aktenzeichen 4 AZR 64/08, dass in einem Tarifvertrag spezielle nur Gewerkschaftsmitgliedern zugutekommende Leistungen vorgesehen werden können. Das Urteil ist auch deswegen spannend, weil das Arbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 26.02.2009 – 15 Ca 188/08) im Fall der HLLA ebenfalls eine Sonderzahlung an Ver.di Mitglieder zugelassen hatte und gegen das Urteil die Sprungrevision an das Bundesarbeitsgericht ermöglicht hat. Das höchste Arbeitsgericht erlaubte nunmehr konkret im Falle eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege, bei dem die Tarifvertragsparteien eine Jahressonderzahlung für mehrere Jahre wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers ausgesetzt hatten, als Gegenleistung für diesen Verzicht eine Ausgleichszahlung nur für Gewerkschaftsmitglieder vorzusehen. Die Klage eines Nichtgewerkschaftsmitgliedes, dass seinen Anspruch auf diese Ausgleichszahlung geltend gemacht hatte, wies das Bundesarbeitsgericht ab.
Bisher hatte der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts solche tariflichen Differenzierungsklauseln für unzulässig gehalten, weil dadurch Druck auf Nichtgewerkschaftsmitglieder (Außenseiter) ausgeübt werde, einer Gewerkschaft beizutreten. Dies verstoße gegen die negative Koalitionsfreiheit, also das Recht, einer Gewerkschaft fernzubleiben. Die Befürworter solcher Klauseln stützen sich auf die Tarifautonomie. Das Bundesarbeitsgericht hatte noch 2007 (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 09.05.2007 – 4 AZR 275/06) bestätigt, dass tarifliche Differenzierungsklauseln, also eine Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern, unzulässig sind, aber offen gelassen, ob das für alle denkbaren Fälle gelte. Nun ließ der 4. Senat des Bundesarbeitsgericht eine Ausnahme für sogenannte einfache Differenzierungsklauseln zu: Der Senat unterschied „„qualifizierte Differenzierungsklauseln“), die auf die individualrechtlichen Gestaltungsbefugnisse des Arbeitgebers einwirken wollen, indem sie auf verschiedene Weise sicherzustellen versuchen, dass im Ergebnis dem gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter in jedem Falle mehr zusteht als demjenigen, der nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ist;“ und „sog. einfache Differenzierungsklauseln, welche die Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers zwar zur Voraussetzung für einen bestimmten materiellen Anspruch machen, die aber keine rechtlichen Schranken dafür aufstellen, dass der Arbeitgeber auf individualvertraglicher Ebene die tariflich vorgesehene Ungleichbehandlung beseitigt.“
Einfache Differenzerungsklauseln im Tarifvertrag können nach Auffassung des Vierten Senats rechtswirksam sein. Ob die Tarifvertragsparteien insoweit eine im Wesentlichen unbegrenzte Regelungsbefugnis haben oder ob sie dabei an relativ enge, im Einzelnen festzulegende Grenzen gebunden sind, musste (und wollte) der Senat nicht entscheiden. Etwa einzuhaltende Grenzen hatte die zur Entscheidung stehende tarifliche Regelung jedenfalls nicht überschritten.
„In der Bestimmung, die strukturell nicht weiter geht als die tarifvertragliche Wirkung, die das Gesetz in § 4 TVG festlegt, liegt jedenfalls im vorliegenden Fall kein unzulässiger Druck auf Nichtorganisierte, auf ihr Recht zu verzichten, einer Koalition fernzubleiben. Sie überschreitet auch nicht die Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien. Die fragliche Leistung liegt nicht im Kernbereich des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses. Sie überschreitet auch der Höhe nach nicht die Grenze, von der an von einem nicht mehr hinnehmbaren Druck auszugehen ist, zumal auf Seiten der am Tarifschluss Beteiligten – Gewerkschaft wie Arbeitgeber – erhebliche, für die Erhaltung der Effektivität des Tarifvertragssystems streitende Interessen festzustellen sind: Sanierungstarifverträge, wie sie hier geschlossen wurden und für die vielfach ein erhebliches Interesse besteht, werden häufig nur zustande kommen können, wenn mit den tariflichen Regelungen auch einer durch den Tarifvertrag im übrigen ansonsten ausgelösten Tarifflucht gegengesteuert werden kann.“
Ebenso wenig musste das Bundesarbeitsgericht zur Zulässigkeit von qualifizierten Differenzierungsklauseln Stellung nehmen. Die Sprungrevision im Falle der HHLA, bei der eine weitergehende Differenzierungsklausel vorliegt, ist daher mit Spanung zu erwarten.
Weitere Infos: Pressemitteilung des Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2009 – 4 AZR 64/08
Michael W. Felser
Rechtsanwalt
Felser Rechtsanwälte und Fachanwälte